„Irgendwann hat sich der Betriebsführer angekündigt. Der hat natürlich meinen Platz gekriegt, war ja ganz klar.“

 

Es gab Arbeitsstellen, die waren sehr weit vom Schacht entfernt und es war natürlich sehr anstrengend, dort hin zu kommen. Man musste in gebückter Haltung dort hinlaufen, da die Strecken nicht hoch genug waren, um in aufrechter Haltung zu gehen. Außerdem wurde die Entfernung jeden Tag größer, da die Strecken jeden Tag weiter vorgetrieben wurden. So kamen in einigen Monaten schon etliche Kilometer zusammen. Nun musste für das Auffahren der jeweilige Strecke das gesamte Ausbaumaterial, wie Stempel, Kappen, Verzugmatten, Maschinenteile, einfach alles was benötigt wurde, dorthin transportiert werden. Das wurde mit einer sogenannten Einschienenhängebahn gemacht. Dieses Transportmittel funktionierte nach folgendem Prinzip: Im Materialbahnhof stand ein Haspel mit umlaufendem Seil. Am Zielort war eine sogenannte Umlenk-Rolle. Das zu transportierende Material wurde nun im Bahnhof an dafür vorgesehenen Transport – Vorrichtungen, die am Seil befestigt waren, angehängt. Soweit zum Prinzip der Einschienenhängebahn.

 

Wenn nun so ein vollbeladener Transportzug mit dem Haspel zum Zielort gefahren wurde, kam es oft vor, dass sich unterwegs das Material verklemmte, also einfach hängenblieb und was war die Folge? Einer musste hin, um nachzusehen, warum es nicht mehr vor und zurück ging. So war ich mehrmals in einer Schicht unterwegs, um nach dem Grund der Störung zu sehen. Irgendwann hatte ich natürlich „den Kaffee auf“ und überlegte: Wie kann ich mir das alles erleichtern und mir vor allem die unendliche Lauferei in gebeugter Haltung ersparen?

 

Nun hatten wir in unseren Strecken an einigen Stellen ausgediente Stücke Gummibänder gelagert, die im Grunde nicht mehr gebraucht wurden, weil sie beschädigt und für die Förderbänder nicht mehr geeignet waren. Diese Gummibänder waren ca. 80 cm breit und unterschiedlich lang. Da waren Stücke von einigen Metern genau so vorhanden wie Längen von 10 bis 20 Metern. Irgendwann kam ich auf eine Superidee. Ich besorgte mir ein etwa fünf Meter langes Stück eines solchen Gummibandes, schnitt ein paar Löcher hinein und befestigte es mit einer genügend starken Kette hinter dem zu befördernden Material an der Transport–Vorrichtung. Wenn jetzt der Transportzug mit dem Material losfuhr zog er das Gummiband hinter sich her. Ich legte mich auf das Band, das an der Befestigung wie eine Hängematte herunter hing und ließ mich die vielen Kilometer bis zum Ende der Strecke, also bis zum Ziel, mitziehen. Wenn unterwegs eine Störung war, beispielsweise sich Material verklemmte, also nichts mehr ging, war ich sofort an Ort und Stelle und konnte so eingreifen und die Störung beseitigen. Das war die Vorgeschichte zum „fliegenden Teppich”, wie und warum er entstand.

 

Nun sprach sich natürlich diese Geschichte schnell auf der ganzen Zeche herum. Jeder Kumpel fragte den anderen Bist Du schon mal mit dem Teppich vom Albrecht gefahren? Jeder Mann, der in den Bereich dieser Strecke kam, musste sich den „Teppich” mal ansehen und wenn er zum Zielort der Einschienenhängebahn musste, natürlich mitfahren. Die Folge war natürlich, dass die Geschichte mit dem „fliegenden Teppich” nicht nur bei den Kumpeln, sondern über die Steiger, Fahrsteiger, Obersteiger bis zum Betriebsführer bekannt wurde. Nachdem dann von entsprechend ausgebildeten Fachleuten diese neue Fahrgelegenheit auf Sicherheit geprüft und getestet war, es keine Beanstandung gab, war plötzlich noch eine weitere Nutzung meines „fliegenden Teppichs” im Vordergrund.

 

Plötzlich wollte natürlich jeder Kumpel und auch jeder Steiger, der sonst kilometerweit laufen musste, bequem auf dem Bauch liegend mit dem Teppich zur Arbeitsstelle gezogen werden. Eine Tages meldete sich der Betriebsführer mit hohem Besuch aus der Verwaltung der Ruhrkohle an. Er wollte unbedingt mit dieser Gruppe auf dem „fliegenden Teppich” zur Arbeitsstelle gefahren werden. Die Gruppe kam in schneeweißen Arbeitsanzügen. Man ließ sich den Teppich erklären; ich stellte dem Betriebsführer meinen bevorzugten Hängematten–Platz zur Verfügung. Die schneeweißen Anzugträger nahmen auf dem ca. 10 Meter langen Gummigurt Platz, auf dem Bauch liegend. Ich hatte den zweitbesten Platz hinter dem Betriebsführer und hatte noch einen kleinen Hängematteneffekt während alle anderen praktisch auf dem doch recht dünnen Gummiband über das Liegende, das heißt über den doch recht unebenen Boden gezogen wurden.

 

Allerdings waren solche Strecken nicht nur uneben auf dem Liegenden, sondern es gab in dieser Strecke auch eine sogenannte Mulde. Das heißt, an einer Stelle, etwa 300 bis 400 Meter vom Bahnhof entfernt, war eine solche Mulde, die natürlich mit Wasser gefüllt war. Das heimtückische an dieser mit Wasser gefüllten Mulde, die etwa eine Länge von zehn Metern und an ihrer tiefsten Stelle etwa 80 cm hatte, war, dass die Oberfläche mit Kohlenstaub bedeckt war und somit von der Umgebung nicht einfach zu unterscheiden.

Eigentlich war mit dem Haspelfahrer, der uns zum Zielort ziehen sollte, abgesprochen, dass er vor der Mulde halten sollte. Wir sollten dann alle absteigen, seitlich an dem Wasserloch vorbeigehen und uns dann hinter der Mulde wieder auf das Gummiband legen. Warum auch immer, der Haspelfahrer hielt mitten in dem Wasserloch an, das Gummiband mit den Besuchern sank im Zeitlupentempo auf den Grund der Mulde und die Besucher krochen wasser- und schlammbedeckt aus dem Loch. Nur der Betriebsführer und ich blieben trocken, da wir ja im oberen Bereich wie in einer Hängematte lagen, also schwebend über das Wasser gezogen wurden.

 

Als sich alle von dem ersten Schrecken erholt hatten, einige schon wieder ein erstes zaghaftes Lächeln zeigten, wurde ich als der Verantwortliche von meinem Betriebsführer fürchterlich zur Sau gemacht. Er hat mir angedroht, ich sollte mich schon einmal darauf einstellen, dass das „Ganze noch ein Nachspiel hat.” In einem unbeobachteten Augenblick nahm er mich dann zur Seite und flüsterte mir ins Ohr: „Hast Du gut gemacht.”

 

Diese Geschichte war natürlich Tagesgespräch auf der Zeche, wurde noch jahrelang weitererzählt und auch immer wieder weiter ausgeschmückt. Bis heute ist es ein Geheimnis geblieben, ob der Haspelfahrer aus Versehen im Wasserloch angehalten hatte.