„Das war natürlich alles schwerste Knochenarbeit.“

 

Wie an anderer Stelle schon erzählt, habe ich am Mittwoch, den 1. Juni 1960 meine erste Schicht auf der Zeche Rossenray in Kamp-Lintfort verfahren. Das war erst mal ein Abenteuer wie ich es in meinen vergangenen dreizehn Bergbaujahren noch nicht erlebt hatte. Die gesamte Belegschaft der Zeche bestand mit mir aus ca. 30 Bergleuten. Ich hatte die Markennummer 21. Es gab einen Betriebsführer, einen Personalchef und zwei Steiger. Außerdem war natürlich noch die Bergbau-Spezialfirma „Schachtbau Thyssen“ mit einer Menge Spezialisten auf Rossenray tätig. 

 

An die erste Schicht kann ich mich noch ziemlich genau erinnern. Kurz vor sechs Uhr morgens gingen wir in Arbeitszeug zum Schacht 1. Es gab, wie auf jeder Zeche, zwei Schächte. Der Schacht 1 war der ausziehende, der Schacht 2 der einziehende Schacht, d. h. im Schacht 1 wurden die verbrauchten Wetter mit riesigen Lüftern (Ventilatoren) heraus gesaugt. An Schacht 2 zog dann durch den Unterdruck frische Wetter nach. Das kurz zum Prinzip. 

 

Am Schacht 1 hing der Förderkübel am Seil über dem abgedeckten Schacht. Die Abdeckung war eine große Doppelklappe, die vom Anschläger hydraulisch geöffnet werden konnte. Wir waren etwa fünf bis sechs Leute, die auf Rossenray ihre erste Schicht verfuhren. Nun will ich mal die erste Anfahrt in einem Förderkübel etwas ausführlicher beschreiben. 

 

Der Kübel, der etwa ein bis zwei Meter über der geschlossenen Schachtklappe am Förderseil an einem riesigen Karabinerhaken hing, wurde vom Fördermaschinisten nach dem Signal des Anschlägers vorsichtig auf die geschlossene Schachtklappe gestellt. Wir kletterten zu fünft in den Kübel. Mehr passten auch nicht hinein. Wir standen jetzt praktisch bis zu den Schultern in einem großen Eimer mit Henkel. Nun gab der Anschläger das Signal „auf“. Das waren zwei Schläge mit dem Signalhammer. Der Kübel wurde vom Maschinisten etwa zwei Meter hochgezogen. Dann öffnete der Anschläger die Schachtklappe und unter uns war ein Loch von etwa 700 Metern Tiefe und ca. acht Metern Durchmesser. Wenn man so da runter sah, gab es doch ein leichtes Ziehen in der Brust. 

 

Zur Führung des Kübels diente ein sogenannter „Führungsschlitten“, der an zwei gespannten Führungsseilen unmittelbar über dem Kübel mitfuhr und vor gefährlichem Pendeln schützte. Unten, siebenhundert Meter tiefer angekommen, stiegen wir aus, zugegeben mit etwas wackligen Knien. 

 

Als der Schacht 1 abgeteuft wurde, musste man durch eine viele Meter dicke Fließsandschicht, die sehr wasserhaltig war. Man bekam auf jeden Fall die Schachtwandung trotz aufwendigem Tübbingen-Ausbau an diesen Stellen nicht dicht. Somit war dort ständiger Wolkenbruch, d. h.: Es hat Tag und Nacht geregnet. 

 

Nun ja, es war natürlich nicht angenehm, aber es war halt so und man hat sich dann nach und nach daran gewöhnt. Auf der 700-Meter-Sohle bestand das gesamte Streckennetz zu der Zeit nur aus einer Verbindungsstrecke zwischen Schacht 1 und Schacht 2 und einer Sumpfstrecke, wo sich das ganze Grubenwasser sammelte. Die gleiche Situation bestand auch auf der 500-Meter-Sohle. 

Vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass das im Grunde zu dieser Zeit die gesamte Zeche Rossenray unter Tage war. Wir, die zur Zeit etwa 30 Zechenleute, wurden nun damit beschäftigt, die Arbeit der Firmenleute zu unterstützen und zu ergänzen. 

 

Nun stellte ich am nächsten Tag, also am Donnerstag fest, dass die schon etwas länger auf der Zeche beschäftigten Kumpel alle etwa eine halbe Stunde eher als üblich draußen vor der Steigerstube standen. Recht bald kamen wir „Neuen“ dahinter, was es damit auf sich hatte. Donnerstags wurden vom Dienst habenden Steiger die „Überschichten“ für samstags und sonntags verteilt. Wer also zuerst da war, hatte natürlich auch mehr Chancen, für Wochenendschichten gefragt zu werden. Das bedeutete zwar mehr Arbeit, gleichzeitig aber auch: mehr Geld verdienen! 

 

Der Grund für die Mehrarbeit ist schnell erklärt. Während der normalen Schichten wurden von den Bergleuten die Strecken aufgefahren. Am Wochenende war daher das gesamte Ausbaumaterial verbraucht. Und am Samstag und Sonntag musste der gesamte Nachschub hinunter geschafft werden. Das war alles nicht so einfach, weil es sich immer um sperrige Teile handelte. Diese mussten mit entsprechenden Seilen am Karabinerhaken des Förderseils befestigt werden, dann vorsichtig im Schacht hinunter gefördert und unten auf der Sohle aus dem Schacht gezogen, auf passende Teckel und Wagen geladen und abtransportiert werden. Das war natürlich alles schwerste Knochenarbeit. Aber ich wollte auch weiter kommen. 

 

Selbstverständlich war ich nun jeden Donnerstag auch bei der Gruppe, die schon früher als nötig auf der Zeche war, ganz nach dem Motto: Aufgepasst – Mehr Geld verdienen!